„Qualität steigt nicht ab“

Gespräch mit Uwe Rapolder, Trainer des Bundesligisten Arminia Bielefeld, über Konzeptfußball, attraktives Spiel, solidarische Stars und das „große Übel“ der zu starken Orientierung am Ergebnis

INTERVIEW FRANK KETTERER

taz: Herr Rapolder, heute endet die Hinserie der Fußball-Bundesliga, und wie immer gilt es deshalb, den Trainer der Vorrunde zu küren. Können Sie uns diesbezüglich weiterhelfen?

Uwe Rapolder: Oh je, wer ist Trainer der Vorrunde? Wer steht denn vorne? Bayern München und Felix Magath. Ich weiß aber nicht, ob das als Trainer der Vorrunde durchgeht. Erik Gerets war lange Tabellenführer, Jürgen Klopp ist bestimmt auch ein Kandidat. Und natürlich Ralf Rangnick. Genau! Jetzt, wo Sie mich danach fragen, fällt mir natürlich der Ralf ein.

Letztes Jahr war es da doch deutlich einfacher, sich festzulegen. Da kam nur Peter Neururer in Frage. Diesmal aber herrscht, Sie haben es gerade deutlich gemacht, eine ziemliche Qual der Wahl. Woher rührt dieses Überangebot?

Es hat in dieser Saison doch einige Mannschaften gegeben, die unter ihren Erwartungen geblieben sind – und umgekehrt solche, die darüber liegen.

Was sagt das über die Bundesliga und ihre Trainer aus?

Das zeigt, dass es neue Impulse gibt. Dass die Kleinen aufbegehren und sich auch mal durchsetzen. Das ist positiv und bringt frischen Wind in die Sache.

Sich selbst haben Sie als Kandidaten gar nicht genannt. An welcher Stelle im Ranking würden Sie sich einordnen?

Ach, das müssen andere machen. Fans können so etwas ohnehin viel besser.

Warum klappt es so gut mit Ihnen und der Arminia?

Zwischen der Mannschaft und mir hat von Anfang an die Chemie gestimmt. Es sind da zwei aufeinander getroffen, denen es zu dem Zeitpunkt beiden nicht sehr gut ging. Ich kam aus einer 14-monatigen Arbeitslosigkeit – und die Arminia stand als Bundesligaabsteiger auf Platz neun in der zweiten Liga und hatte sieben Punkte Abstand auf einen Aufstiegsplatz. Bei unserer ersten Begegnung habe ich in der Kabine gesagt: Ihr müsst mir jetzt helfen – und ich kann euch sicherlich auch helfen. Das haben die Jungs sofort verstanden. Die haben von Anfang an mitgezogen – und auch das Spielsystem hat sofort gepasst. Das sind ja immer zwei Dinge: Die Motivation und der fußballerische Fachbereich, also die taktischen Abläufe. Ich habe in Bielefeld Spieler gefunden, mit denen ich meine Idee von Fußball relativ gut umsetzen konnte.

Auch Ralf Rangnick, Ewald Lienen oder Erik Gerets waren vor kurzem noch weit weniger vom Erfolg verwöhnt und haben allesamt mindestens einen Rauswurf hinter sich. Ist es Zufall, das ausgerechnet solche Trainer in dieser Saison für Schlagzeilen sorgen – und zwar für die positiven?

Vielleicht hat sich das Anforderungsprofil geändert. Es kann ja sein, dass ein Trainer, der vor zwei Jahren entlassen wurde, noch immer ganz ähnlich arbeitet, die Klubs aber seine spezielle Art der Arbeit plötzlich mehr schätzen.

Geht es ein bisschen genauer?

Es ist doch möglich, dass sich ein Wandel am Markt vollzogen hat. Die Tendenz geht mehr hin zum Konzeptfußball – und zu den Trainern, die dafür stehen. Denn auch in der Bundesliga ist mittlerweile erkannt worden, dass der Konzeptfußball notwendig ist, um vor allem auch international wieder einen besseren Stellenwert zu erreichen.

In Hannover gab es selbst in dieser Saison zu Beginn noch wütende Lienen-raus-Rufe. Heute wird er als Held gefeiert. Wie kann das sein?

Durch Siege. Durch Erfolg.

Aber Lienen war ein paar Monate zuvor doch ganz bestimmt kein schlechterer Trainer.

Natürlich nicht.

Was bedeutet genau das für die Arbeit eines Fußballtrainers und deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit?

Dass es eine zu starke Ergebnisorientierung gibt. Für mich ist das das Übel des Fußballs – weil diese ausschließliche Ergebnisorientierung keinen Fortschritt mehr erlaubt, keine Entwicklung.

Wie kann man dem als Trainer entgegenwirken?

In dem man den Mut hat, auch Erlebnisfußball zu spielen – und nicht nur aufs Ergebnis schaut. Und in dem man genau das auch seiner Mannschaft beibringt.

Das heißt?

Ich wollte mit meinen Mannschaften schon immer einen attraktiven Fußball spielen, einen unterhaltsamen. Das müssen nicht immer Kombinationen über acht Stationen, sondern es kann auch totale Leidenschaft im Zweikampf sein. Mir geht es da in erster Linie um hohes Tempo. Da bin ich durchaus ein bisschen von den Engländern inspiriert.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat gerade festgestellt, dass „nie zuvor in der Bundesliga auf breiter Ebene so viel Aufwand bei der taktischen Arbeit betrieben wurde“. Teilen Sie diese Ansicht?

Das ist absolut richtig. Die Zeiten, in denen du über individuelle Klasse ein Spiel gewinnen konntest, die sind vorbei. Weil der Fußball sich durch verschiedene Dinge, vor allem auch durch Regeländerungen, so entwickelt hat, dass er sehr, sehr schnell geworden ist. Und je schneller etwas ist, um so weniger kannst du ihm mit Improvisation und mit Geistesblitzen begegnen. Sondern du musst, im Eishockey und im Basketball ist das schon lange so, dann mit Automatismen arbeiten. Das ist dann die taktische Arbeit: Die einzelnen Mannschaftsteile und die einzelnen Spieler aufeinander abzustimmen.

Warum sind diese Dinge ausgerechnet jetzt so verstärkt zum Thema in der Bundesliga geworden?

Weil es eine absolute Notwendigkeit war, um international wieder mithalten zu können. In der Bundesliga hat man viel zu lange an einer Spezialisierung festgehalten: Libero, Manndecker, der Zehner war die Kreativabteilung, der Sechser war der Wasserträger oder der Staubsauger vor der Abwehr, die zwei auf der Außenbahn sind immer nur rauf- und runtergelaufen und haben Flanken geschlagen. Diese Spezialisierung ist veraltet. International hat da längst eine Generalisierung stattgefunden, die sich auch auf die Spielsysteme ausgewirkt hat. Die vier, die verteidigen, müssen heute auch konstruktiv nach vorne spielen können; und umgekehrt müssen die Spitzen bei Ballverlust sofort gegen hinten schließen. Daraus ergibt sich die Kompaktheit und Homogenität, die ein Team auszeichnet. Wenn man heute Welt- oder Europameister oder Champions-League-Sieger werden will, muss man genau das haben.

Sie gelten in der Bundesliga mittlerweile als einer der eifrigsten Vertreter des Konzeptfußballs. Können Sie uns, in aller gebotenen Kürze, das Konzept der Arminia erklären?

Das ist ganz einfach: Bei Ballbesitz des Gegners dessen Spiel langsam machen, Räume schließen, Ball erobern. Und bei eigenem Ballbesitz heißt es schnelles Spiel in die Spitze, nachrücken und vor allem: Kurzpassspiel, Vertikalspiel.

Dazu hat der „kicker“ festgestellt: „In Arminias Spiel ist nichts dem Zufall überlassen.“ Wie genau und präzise sind Lauf- und Ballwege tatsächlich festgelegt?

Absolut präzise. Die Laufwege sind zu 100 Prozent klar; wo der ballführende Spieler den Ball hinspielt, ist dann aber ihm überlassen. Die anderen müssen ihm drei, vier Möglichkeiten anbieten, eben um den Ball schnell spielen zu können. Wenn eine davon gut ist, dann ist das schon prima.

Was bedeutet das für die Trainingsarbeit?

Wir machen keine Übung und kein Trainingsspiel ohne taktischen Hintergrund.

Wie lange dauert es, bis eine Mannschaft so ein Konzept kapiert und verinnerlicht hat?

Wenn sie will, dauert es zwei Wochen. Dann haben sie es drin. Wichtig ist: Die Spieler müssen es wollen, die müssen mitziehen. Dann geht es schnell, weil es relativ einfach ist.

Und damit kann dann eine Mannschaft wie die Arminia kompensieren, dass sie nicht über die ganz großen Fußballkünstler verfügt.

Es ist gut, dass Sie sagen „nicht die ganz großen“, denn wir haben schon auch sehr gute Spieler. Oft kommt es ja so rüber, als würde der Trainer mit seiner Taktik alles allein machen. Aber das ist nicht so. Wir haben bei Arminia wirklich sehr gute Individualisten, die auch bei namentlich größeren Vereinen spielen könnten. Andererseits sind die Spieler natürlich auch über das Konzept gewachsen. Für mich ist das genau der Punkt: Heute müsste es normalerweise so laufen, dass da zuerst das Team ist, und aus diesem erwachsen dann die so genannten Stars.

Kann man sagen, dass der Konzeptfußball eine Art Verwalten und Kompensieren von Mängeln ist – und sei es nur der Mangel an Stars?

Mag sein. Aber was ist dann der Heldenfußball, der ja als Gegenteil vom Konzeptfußball gilt? Dort gibt es ja noch mehr Mängel. Im Heldenfußball gibt es im Prinzip einen Konstrukteur und einen Destrukteur; der eine spielt destruktiv und der andere konstruktiv. Im Konzeptfußball sind diese Dinge in einer Person vereint. Da müssen beide nach hinten spielen und beide nach vorne. Das schafft einen gewissen Gleichheitsgedanke. Und es schafft Solidarität und Loyalität.

Ist der Held, also der Star, der natürliche Feind des Konzeptfußballs?

Nein, aber er muss aus dem Konzeptfußball erwachsen. Wir wollen den Helden, der eine soziale Kompetenz hat – und eben nicht einen, der Egomane ist und den anderen für sich arbeiten lässt.

Beispiel Delron Buckley. Der war bis vor dieser Saison ein eher mäßiger Stürmer. Dann haben Sie ihn in Ihr Konzept eingebaut, er hat dadurch zehn Tore geschossen – und ist zum Stürmer-Helden geworden.

Genau. Aber er arbeitet trotzdem weiter für die Mannschaft.

Wie sehr passen Sie Ihr Konzept an die jeweilige Mannschaft an?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man mit einem 20-Mann-Kader durchaus verschiedene Systeme spielen kann. Die Spieler sind da relativ flexibel. Das liegt dann immer ein bisschen an der Instruktionskompetenz vom Chef.

Ließe sich Ihr Konzept auch mit Stars umsetzen, zum Beispiel beim FC Bayern, oder, noch eine Nummer größer, mit Real Madrid?

Das kommt auf die Spieler an – und darauf, ob sie eine gewisse Bescheidenheit und Einsicht haben. Im Prinzip ist das die entscheidende Frage. Und es kommt auf die Überzeugungskompetenz des Trainers an.

Ihr Spieler Ervin Skela hat noch im November gesagt: „Wir haben einen Supertrainer, das hat in Deutschland bloß noch keiner mitbekommen.“ Das hat sich mittlerweile geändert. Wieso hat es so lange gedauert?

Das hat etwas mit der Namensgläubigkeit in Deutschland zu tun. Hierzulande ist man lange davon ausgegangen, dass man 70 Länderspiele haben muss, um etwas von Fußball verstehen zu können. Ich habe zwar auch über 300 Spiele im bezahlten Fußball auf dem Buckel, allerdings viele davon in Belgien und in der Schweiz. Das zählt in Deutschland nicht, mein Name war kein Begriff. So kam ich mehr oder weniger als No-Name zu Waldhof Mannheim, mit denen ich dann in die zweite Liga aufgestiegen bin und beinahe in die erste. Damals stand ich auch bei mehreren Bundesligisten auf der Liste, bin dann aber nach Ahlen gewechselt. Das hat meinem Image und meiner Person geschadet, ich habe da einfach nicht hingepasst. Alles was ich mir in Mannheim aufgebaut hatte, lag plötzlich in Scherben. Ich war mit einem negativen Image belastet und drohte da nicht mehr rauszukommen – bis mir Tommy von Heesen bei Arminia eine neue Chance gegeben hat.

Wenn man in den Archiven über Sie recherchiert, stößt man durchaus auch auf Attribute wie eitel, schwierig, aufbrausend, gerade was den Umgang mit der Mannschaft angeht. Wie sehr haben Sie Ihr persönliches Konzept verändert, um dorthin zu kommen, wo Sie heute sind?

Ich hatte schon in Ahlen meinen Führungsstil verändert. Die Grundlage meiner Führung basierte früher eher auf formaler Autorität und Druck. Man kann auch damit Erfolg haben, aber es ist eine andere Arbeit, als wenn du über die Überzeugung kommst.

Was haben Sie im Umgang mit den Spieler verändert?

Ich bin lockerer geworden und kommunikativer. Und ich schließe die Führungsspieler jetzt mehr in meine Arbeit mit ein.

Herr Rapolder, nach der Niederlage vor zwei Wochen auf Schalke hat man etwas im Fußball sehr Ungewöhnliches gesehen: Einen Trainer, der verloren hatte, nämlich Sie, – und der doch sehr zufrieden wirkte.

Stichwort Erlebnisfußball. Es hat mir einfach Spaß gemacht, die Mannschaft so spielen zu sehen. Und genau darum geht es mir: Dieses Spiel muss Spaß machen.

Spaß bringt dauerhaft aber keine Punkte.

Mag sein. Aber es geht ja auch viel mehr um die Qualität. Gegen Schalke haben wir in der zweiten Halbzeit das beste Spiel geliefert seit ich bei Arminia bin. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Und wenn die Qualität verbessert wird, dann kannst du nicht absteigen, das ist unmöglich. Daran werden wir weiter arbeiten. Und deshalb kann ich auch nach einer Niederlage sehr zufrieden mit dem Spiel meiner Mannschaft sein.